Die DFB-Elf ist wieder da und alle wollen sie sehen: Fast eine halbe Million Menschen quetscht sich auf die Berliner Fanmeile, um die Nationalmannschaft zu begrüßen. Die Spieler machen das Spektakel mit – einige glänzen mit komödiantischem Talent.

 Was ist Heimat? Heimat ist, wo die Bockwürste sind. Deshalb ist es ein feiner Zug, dass die Spieler der deutschen Nationalmannschaft nach ihrem fünfwöchigen Brasilien-Ausflug erst einmal hinters Brandenburger Tor, an den Pariser Platz gekarrt werden, um einen Stehimbiss mit lokalen Wurstspezialitäten einzunehmen. Willkommen zu Hause! Nach einer kurzen Autogrammstunde mit dem Goldenen Buch der Stadt Berlin geht es dann aber raus in die Menge.

Rund 400 000 Menschen warten da. Als das Trainerteam um Joachim Löw um 13 Uhr die Bühne betritt, stehen die eingefleischtesten Deutschland-Fans bereits seit sieben Stunden am Absperrgatter vor dem Tor. Löw hat das erste Wort. „Wir sind alle Weltmeister“, ruft er. Die Frage war eigentlich, ob er weitermacht. Beim DFB sind sie sich zwar schon „total sicher“, dass der Bundestrainer seinen bis 2016 gültigen Vertrag erfüllen wird. Löw aber drückt sich auch in dieser historischen Stunde um eine klare Ansage herum. Das Volk jubelt trotzdem. Das Volk hätte aber auch gejubelt, wenn Löw gesagt hätte: „Wir sind alle Bockwürstchen.“

Vor der Landung dreht der Flieger erst noch eine Schleife über dem Tiergarten

Dann kommen endlich die Weltmeister, formvollendet sortiert nach Wohngemeinschaften aus dem Campo Bahia. Jede WG hat zur Abschluss-Fete vor den Sommerferien ein kleines Theaterstück einstudiert. Den Anfang macht Per Mertesacker mit seinen Zimmergenossen. Der Abwehrturm vom FC Arsenal schlurft als BFGR über den Laufsteg, als Big Fucking German Rapper. Thomas Müller bringt seinerseits eine knappe halbe Million Menschen dazu, sich auf Kommando hinzusetzen und Humba-Tätärä zu grölen. Irgendwo ist auch Philipp Lahm mit dem WM-Pokal.

Es hat ein bisschen was von Songcontest. Man spürt, dass der allseits beschworene Teamgeist tatsächlich existiert – über alle natürlichen Grenzen hinweg. Der Schalker Julian Draxler singt: „Großkreutz rück‘ den Döner raus!“ Und der Dortmunder Kevin Großkreutz, zuletzt Angeklagter in einem Döner-Wurf-Prozess, tanzt dazu Solo-Walzer. Lukas Podolski ist sogar so mutig, mit einem Umhang anzurücken, der im ersten Moment wie die polnische Nationalflagge aussieht. Tatsächlich handelt es sich um die Fahne der Stadt Köln. Trotzdem mutig.

Um die Eingeborenen kümmert sich Jérôme Boateng, der hochseriös auf Kennedy macht: „Ich bin stolz, ein Berliner zu sein“, verkündet der gebürtige Berliner mit Wohnsitz in München. Irgendwo zwischen prollig und peinlich gibt sich ausgerechnet jene WG, die von dem Erziehungsberechtigten Miroslav Klose, 36, angeführt wird. Gemeinsam mit den Kollegen Götze, Schürrle, Kroos, Weidenfeller und Mustafi kommt er im Affengang herangewatschelt und singt: „So gehen die Gauchos, die Gauchos die geh’n so!“

Sie hatte schon so herrlich unvollkommen begonnen, mit reichlich Verspätung nämlich. Am Flughafen von Rio de Janeiro ist tatsächlich ein Gepäckwagen gegen den Rumpf der deutschen Siegermaschine gedonnert. Wenn man nicht genau wüsste, dass die argentinischen Fußballer Ezequiel Garay und Javier Mascherano ein gutes Alibi haben, weil sie zu diesem Zeitpunkt schon längst zu Hause in Buenos Aires weilten, hätte man von einem letzten versteckten Foul aus den Reihen des Endspielgegners ausgehen müssen. Zwei Stunden stand die Maschine für Sicherheitsuntersuchungen auf dem Rollfeld herum. So zerkratzt wie der Schweinsteiger erreichte sie am Dienstagmorgen schließlich den deutschen Luftraum.

Gegen 10 Uhr (Ortszeit) konnten sich die Schaulustigen auf der Straße des 17. Juni mit eigenen Augen davon überzeugen, dass der Transatlantiküberflug mit der kostbaren Fracht trotz Lackschadens geklappt hat. Dank einer Sondergenehmigung des Berliner Senats und der Deutschen Flugsicherung (DFS) durfte der Siegerflieger vor der Landung noch eine kleine Schleife über dem Tiergarten drehen.

In rund 1000 Meter Höhe bretterte er über die Köpfe der Fans hinweg und winkte dabei höflich mit den Tragflächen. Das halbe Land muss dieses weltmeisterliche Anflugmanöver auf dem Smartphone verfolgt haben. Eine beliebte Flug-Radar-App brach zwischenzeitlich zusammen. Vielleicht wurde an diesem Dienstag in Berlin der digitale Autocorso erfunden.

Jede Zeit hat ihre Feste. Als die Helden von 1954 mit der Eisenbahn aus Bern nach Hause ruckelten, brach noch kein nationales Freudengetwitter aus, stattdessen wurden den Spielern die kostbarsten Geschenke durch die Zugfenster gereicht. In Immenstadt gab es einen gut 15 Kilo schweren Bergkäse, in Radolfzell stiftete die Firma Schiesser mehrere Kartons mit weißer Feinripp-Unterwäsche. Am Bahnsteig in Konstanz warteten stapelweise Bildbände („Unser Konstanz“). Schwer beladen mit Baumkuchen, Aschenbechern, Teegeschirr und exquisiten Rotweinen stürzten sich die ersten deutschen Weltmeister schließlich in München in die Menge.

Von der Party des zweiten deutschen WM-Titels 1974 blieb vor allem in Erinnerung, dass die Party-Laune alsbald verflogen war. Weil die Spielerfrauen beim Bankett in München ausgesperrt wurden, gingen die Weltmeister auf die Barrikaden. 1990 tanzten die Leute, dem Zeitgeist entsprechend, Lambada an den Straßenlaternen.

Das Nationalteam ließ sich von 20 000 Fans (einem aus heutiger Sicht intimen Grüppchen) auf dem Frankfurter Römerberg bejubeln, obwohl die Berliner rechtzeitig dafür gesorgt hatten, dass man am Brandenburger Tor wieder feiern konnte. Dieser deutscheste aller deutschen Erinnerungsorte hat sich dann erst im sogenannten Märchensommer zur DFB-Party-Zentrale entwickelt. Zweimal, 2006 und 2008, wurden hier Weltmeister beziehungsweise Europameister der Herzen begrüßt. Diesmal waren gar keine Herzen nötig. Diesmal hatten sie einen Pokal dabei.

Damals im Jahre 2006, als sich die Deutschen über sich selbst wunderten, musste noch mit leicht verkrampfter Penetranz dazugesagt werden, dass es sich um eine neue Form des unverkrampften Patriotismus handele. Diesmal war das überflüssig. Jeder konnte sehen, dass es in erster Linie eine Fete war. Fußball für alle. Das große Wir-Gefühl. Mit allen Fähnchen, die aufzutreiben waren und einer schwarz-rot-goldenen Schland-Farbdusche.

Man darf unterstellen, dass die neuen deutschen Weltmeister beeindruckt waren. Bastian Schweinsteiger sagte: „So viele Menschen am Straßenrand kenne ich selbst aus München nicht. Ist natürlich klar, weil München auch kleiner ist.“ Man konnte bei diesem schönen Festakt also sogar etwas über Geografie lernen.

Die Pointe konnte natürlich nur von Thomas Müller kommen. Als das letzte Humba-Tätärä verklungen war, gab er artig das Mikrofon an den Moderator der übertragenden Fernsehanstalt zurück und sagte: „So ARD, jetzt könnt ihr wieder das Wetter machen!“ Kann es nach einer WM, die zu Hause alle TV-Rekorde gebrochen hat, ein besseres Schlusswort geben?

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